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Kläger, Beklagte und Angeklagte - live im TV?


Mit einer Verfassungsbeschwerde greift ,,n-tv`` das Verbot von Fernseh- und Rundfunkaufnahmen in Gerichtsverhandlungen an.


1 Kurzbericht



Der private Nachrichtensender ,,n-tv`` klagt derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel, das in § 169 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) enthaltene Verbot von Ton,- Fernseh- und Rundfunkaufnahmen in Gerichtsverhandlungen, zu Fall zu bringen. § 169 S. 2 GVG schränkt den allgemeinen Grundsatz, daß Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht, einschließlich der Urteilsverkündung, der Öffentlich-keit zugänglich sein müssen (§ 169 S. 1 GVG), ein. ,,Das strikte Übertragungsverbot, argumentiert n-tv, vertreten durch Rechtsanwalt Mathias Schwarz, verstoße gegen das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG), denn dieses erstrecke sich auch und gerade auf die das Medium kennzeichnende Vermittlung des Informationsgehalts bewegter Bilder``.1 Bis 1964 war es in das Ermessen der Richter gestellt, ob sie in Ausübung der Sitzungspolizei (§176 GVG) Fernseh- oder Rundfunkaufnahmen zuließen.2 Nicht zuletzt die Tatsache, daß der damalige Bonner Landgerichtspräsident Helmut Quirini 1959 im Strafverfahren gegen den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Walter Hallstein, trotz Freispruchs, die Urteilsverkündung vor laufenden Kameras zum Spektakel machte3, veranlaßte den Gesetzgeber zur Einführung des § 169 S. 2 GVG.

Erst 1998 lockerte der Gesetzgeber das Verbot von Fernsehaufnahmen bei Gerichts-verhandlungen durch Einführung des § 17a Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Seitdem ist es erlaubt, den Beginn der Verhandlung und die Urteils-verkündung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu übertragen. Anlaß hierfür dürften zwei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben haben. Das eine wurde von den TV-Sendern ARD, ZDF, RTL und SAT 1 angestrengt und richtete sich gegen sitzungspolizeiliche Verfügungen des Vorsitzenden bei dem Strafverfahren gegen Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Heinz Keßler, Fritz Streletz und Hans Albrecht, die die Fernsehaufnahmen außerhalb der Hauptver-handlung beschränkten.4 Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, daß die verbleibenden Gefahren für die äußere Ordnung des Strafverfahrens sowie für das Persönlichkeitsrecht von Beteiligten und Dritten ein vollständiges Verbot von Fernsehaufnahmen jedenfalls deshalb nicht rechtfertige, weil dieses die Rundfunkfreiheit unangemessen einschränke. Dabei müsse insbesondere das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an diesem Verfahren ins Gewicht fallen, das die Rundfunkanstalten befriedigen wollten. Sowohl die Funktion der Angeklagten in der DDR wie auch der Inhalt des Schuldvorwurfs habe dem Verfahren eine politische und historische Dimension verliehen, die diejenige anderer Strafprozesse, selbst wenn sie aufsehenerregende Taten betreffen, weit überragte.5

Das zweite Verfahren wurde 1995 von dem - auch jetzigen Beschwerdeführer - n-tv eingeleitet. Die damalige Verfassungsbeschwerde sowie der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BverfGG richteten sich unmittelbar gegen das Verbot des § 169 S. 1 GVG und waren erfolglos.6

n-tv argumentierte im damaligen Verfahren, daß es in bestimmter Hinsicht sogar das Ziel des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren sei, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten zu beeinflussen. Diese sollten durch die ständige Präsenz der Öffentlichkeit entsprechend ihrer Rolle in jeweils unterschiedlicher Form kontrolliert werden. Eine damit möglicherweise einhergehende Befangenheit sei als grundsätzlich unvermeidlich hinzunehmen.

Das Bundesverfassungsgericht sah dies anders. Insbesondere in Strafverfahren müsse die Rundfunkfreiheit hinter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) der Angeklagten zurücktreten.



2 Anmerkung



Der Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren ist für die Transparenz und Kontrolle der Gerichtsbarkeit, die ihre Urteile im Namen des Volkes verkünden, unverzichtbar.

Möglicherweise führt das derzeitige Verfahren zu einer weiteren Lockerung des Verbots von Fernsehaufnahmen bei Verhandlungen. Insbesondere Aufnahmen bei Verwaltungsrechtsstreitigkeiten sowie bei einigen zivilrechtlichen Streitigkeiten erscheinen denkbar.

Klar ist aber, daß n-tv vor allem an einem interessiert ist: an der Übertragung von spektakulären Strafverfahren. Jedoch ist nicht zu erwarten, daß solche von einer Lockerung betroffen sein werden. Und das ist gut so. Hiergegen spricht zweierlei: Zum einen der Schutz des Persönlichkeitsrechts der Beteiligten (Angeklagte, Opfer, Zeugen) vor einer erheblich erweiterten Öffentlichkeit. Zum anderen das Interesse der Wahrheitsfindung. Denn es wäre zu erwarten, daß unter ständiger Beobachtung von Massenmedien sowohl Einlassungen der Angeklagten als auch Zeugenaussagen hiervon nicht unbeeinflußt blieben. Ein Hinweis auf die Praxis in den USA ist nur bedingt tauglich. Denn schon die Verfahrensordnung der dortigen Strafprozesse bedingt - wegen der Geschworenenjury - eine zum Teil theatralische Inszenierung der Verhandlung durch Staatsanwälte, Verteidiger und Angeklagte, durch die die Geschworenen beeindruckt, verblüfft und von der Schuld bzw. Unschuld des Angeklagten überzeugt werden sollen. Soll heißen, in den USA ist schon die Prozeßordnung darauf ausgerichtet, vor einem Publikum zu bestehen. Dies trifft in dieser Weise auf deutsche Verhältnisse nicht zu.


Jens Engelhardt



Fußnoten
1
Aus: DER SPIEGEL, Hft. 46/13.11.2000, S. 110.
2
Zur Entstehungsgeschichte vgl. Gerhardt, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verbots von Rundfunk- und Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, 1968, S. 23 ff.
3
DER SPIEGEL, Hft. 46/13.11.2000, S. 110.
4
BVerfG, Beschluß v. 14.07.1994 - BvR 1595/92, 1606/92; NJW 1995, 184; NStZ 1995, 40.
5
NStZ 1995, 41 f
6
BVerfG, Beschluß v. 11.1.1996 - 1 BvR 2623/95; NJW 1996, 571, 581 und 2712.